Am 19.11.2022 fuhren wir als ABA zusammen mit Freund*innen aus der Szene nach Dachau zu einem Rundgang durch die KZ-Gedenkstätte.
Geführt wurden wir von einer ehemaligen Gedenkstätten-Referentin, welche uns in ihrer Freizeit unentgeltlich eine Tour gab, da sie uns als linkspolitische Gruppe gerne dieses Angebot machen wollte.
Wir
hatten einen sehr eindrücklichen und interessanten Tag dort und
viele Gelegenheiten für Fragen und direkten Austausch mit der
Referentin über die damaligen Schrecken.
Im Anschluss haben wir den Abend in gemütlichen Gesprächen im „Freiraum Dachau“ mit der lokalen Szene ausklingen lassen.
Im
Folgenden werden
drei
persönliche Eindrücke vom Besuch der Gedenkstätte Dachau
geschildert:
Nie wieder!
Dachau liegt gerade mal eine dreiviertel Autostunde beziehungsweise anderthalb Stunden mit dem Zug von Augsburg entfernt. Und trotzdem war ich in meinem Leben überhaupt erst einmal in dieser Stadt. Rund 15 Jahre ist dies nun her und auch damals war der Grund ein Besuch des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau. Ich kann mich gut erinnern, damals schon sehr interessiert und tief bewegt von dem dort zu Erfahrenden gewesen zu sein. Anders anscheinend als einige meiner damaligen Mitschüler*innen, welche Witze rissen und zumindest oberflächlich nicht besonders beeindruckt schienen. Umso besser gefiel mir die Idee, nun zusammen mit einer Gruppe von Menschen, die sensibilisierter und ernsthafter der Thematik gegenüber eingestellt sind, erneut zur Gedenkstätte zu fahren.
Dieses Mal machte ich mich also in wunderbarer Begleitung von neun anderen Genoss*innen und Freund*innen mit dem Zug auf den Weg. Angekommen vor der Gedenkstätte kam direkt ein starkes Gefühl dafür auf, um was für einen außerordentlichen Ort es sich hier handelt. Dies zeigte sich auch, als wir minutenlang darüber redeten, ob und wo wir in diesem Umfeld ein gemeinsames Foto machen können oder wollen. Während wir also ernsthaft über eine vermeintliche Kleinigkeit diskutierten, machte es mich schlicht fassungslos, wie unbedacht von anderer Stelle mit dem Gedenken an diesen Ort umgegangen wird:
Hunderte Meter lang fuhren wir zuvor mit dem Bus die „Straße der SS“ entlang. An dieser reihten sich linker Hand Dutzende Kasernengebäude auf einem riesigen Gelände aneinander. Früher die Örtlichkeiten der Mörder und Peiniger der Insassen, beherbergen sie heute bayrische Polizeieinheiten. So beispielsweise die berüchtigten USK-Einheiten der 22. Einsatzhundertschaft. Dieser Umstand war mir im Vorfeld an sich bekannt, das nochmals vor Ort zu sehen, auch die unmittelbare Nähe, die historischen Gebäude derer sich dafür bedient wurde, das alles machte einfach fassungslos und wütend.
Umso froher war ich dann, als unsere Referentin auf uns zukam und den Rundgang mit uns eröffnete. Ihr professioneller, aber niedrigschwelliger und sehr menschlicher Umgang mit dem Ort und seiner Geschichte führte gepaart mit dem Austausch mit Freund*innen und Genoss*innen zu einer stabilisierenden emotionalen Begleitung in den nächsten Stunden. Sehr gut war dabei auch, dass die Referentin selber recht viele persönliche Informationen und Zitate von einigen im Lager Verfolgten mitbrachte, um die Geschichten hinter den Zahlen greifbarer zu machen. Gerade da die ebenfalls sehr gute Dauerausstellung der Gedenkstätte häufig mehr mit Zahlen und Fakten arbeitet, welche in ihrem unvergleichlichen Ausmaß jedoch kaum noch für den Geist greifbar sind. Während des Rundgangs entwickelte sich dann weniger ein frontaler Vortrag, als vielmehr ein interaktives Gespräch über das dort Geschehene.
Doch auch wenn wir uns stundenlang in der Gedenkstätte aufhielten, hatten wir kaum die Zeit, uns über die Ausführungen der Referentin hinaus auch intensiv mit der Ausstellung selbst zu beschäftigen. Als wir das Lager verließen, blieb neben vielen anderen Gefühlen vor allem auch jenes zurück, dass eine vernünftige Beschäftigung mit dieser Thematik gar nicht genügend Zeit in Anspruch nehmen kann und nie abgeschlossen zu sein scheint. Deshalb wird dies auch bei weitem nicht mein letzter Besuch an diesen oder ähnlichen Orten sein.
Diese Gedenkstätten sind dafür da besucht zu werden, die Literatur der Verfolgten dafür da gelesen zu werden, ihre Geschichten dafür da weitererzählt zu werden. Ohne Schlussstrich, für immer…
Und neben der Bedrücktheit und Wut, welche ich ein jedes Mal nach einer solchen Beschäftigung verspüre, zeigt sie mir auch jedes Mal aufs Neue auf, dass nicht nur die Beschäftigung mit dem Faschismus, sondern auch der Kampf gegen diesen eine Pflicht ist, welches uns das bloße „Menschsein“ auferlegt hat.
Nicht nur der Vergangenheit, sondern vor allem auch der Zukunft wegen!
Sich dieses Mal zusammen mit Menschen damit auseinandergesetzt zu haben, welche dabei den gleichen Weg gehen, schaffte in mir Zuversicht. Genauso wie der anschließende Besuch und Austausch im „Freiraum Dachau“. Projekte und Aktivist*innen kennenzulernen, welche auch an anderen Orten die gleichen Kämpfe führen, ist für mich jedes Mal aufs Neue motivierend und kraftschöpfend. Der Austausch über ähnliche Probleme, Herangehensweisen und Ideen immer beruhigend und bereichernd. Und letztlich war es einfach ein schönes Gefühl nach dem Besuch eines Ortes der unglaublichen Kälte einen warmen und offenen Empfang von tollen Mit-Aktivist*innen zu erhalten. Wir würden uns sehr freuen wenn sich über einen solchen Austausch die regionale Bindungen verstärken und damit auch ein Gefühl weiter in mir wächst, welches an diesem Tag recht stark war:
Wir sind nicht Alleine!
Lasst uns solidarisch sein und gemeinsam kämpfen!
Gemeinsam dem „Nie Wieder!“ verpflichtet!
Hierarchien bis ganz unten
Es war nicht mein erster Besuch im KZ-Dachau und nicht das erste Mal, dass ich das „Dritte Reich“ aus anarchistischer Sicht betrachtet habe. Es war das erste Mal mit einem (wunderbar kompetent) begleiteten Rundgang, was einen großen Unterschied gemacht hat.
Eine überraschende Erkenntnis betraf meine Privilegien. Bereits in den ersten Räumen erfuhren wir, dass die Abfertigung der Neuankömmlinge sowie viele andere Verwaltungsaufgaben durch Gefangene erledigt wurden – und zwar durch die privilegierteste Gruppe: politische Gefangene. Sofort hallen Demosprüche in meinem Kopf: „Freiheit für alle politischen Gefangenen!“. Meine Intuition ist überfordert.
Dass im „Dritten Reich“ und im Faschismus allgemein hierarchisches Denken eine zentrale Rolle einnimmt, war mir klar, neu war mir, wie systematisch dies hinter den KZ Toren weiterging. Die untersten Stufen waren „Homosexuelle“ und „Asoziale“. „Jude“ wurde nicht als eigene farblich markierte Kategorie geführt, sondern als unabhängige Zusatzmarkierung.
Doch warum sind entgegen meiner Intuition, gerade die erklärten politischen Gegner*innen der Faschisten die privilegiertesten KZ-Insass*innen? Anscheinend wurden politische Verfehlungen als grundsätzlich „korrigierbar“ angesehen, während bei anderen Kategorien mehr oder weniger unveränderliche oder gar vererbliche Wesensmerkmale angenommen wurden.
Hierarchisch kategorisierendes Denken ist offenbar nicht bloß eines von vielen Elementen des Faschismus, sondern Grundlage all der entmenschlichenden Ideen. Kategorien wurden als unumstößliche Wahrheiten angesehen. Dieses bis in die letzten Details vordringende diskriminierende Denkmodell hat den Faschismus getragen und möglich gemacht.
Das sind keine neue Erkenntnisse, neu ist die Eindrücklichkeit, mit der ich an diesem Tag gefühlt habe: Der Kampf gegen alle Formen von Hierarchie und Diskriminierung bleibt wichtig – Privilegien kann man ins KZ mitnehmen – und sogar wieder hinaus, denn viele „Homosexuelle“ und „Asoziale“ wurden Jahrzehnte lang nicht als Opfer anerkannt.
Fassungslosigkeit und blanke Wut
Ich bin mit der Erwartung dort hingekommen, dass ich die Fakten bereits kannte, mir das alles schon bewusst sei und ich lediglich den ein oder anderen Hardfact auffrischte und mir die Wichtigkeit von Antifaschismus erneut bewusst werden würde.
Letzteres war zwar der Fall, aber wirklich bewusst war mir vorher fast nichts.
Klar, in der Schule setzte man sich damit auseinander, man hat so einen Besuch schon mal gehabt, man redete in politischen Gruppen über die Schrecken des Holocausts, hat die eine oder andere Doku gesehen. Aber trotzdem war es mir nicht möglich, einfach nur interessiert und aufmerksam diese Gedenkstätte zu besuchen. Ich war überfordert mit der Zahl an Menschen, die hier in diesem einen KZ erniedrigt, entmenschlicht, gefoltert und ermordet wurden, überfordert mit der Zahl an weiteren Konzentrationslagern, Außenlagern, Vernichtungslagern, speziellen Lagern für politisch Verfolgte und und und und und und…
Lager, in denen das Gleiche oder noch Schlimmeres passierte, tausendfach, hunderttausendfach, millionenfach. Diese Anzahl an Menschen ist für mich nicht greifbar, ich kann mir gerade 1000 Menschen vorstellen, vielleicht noch 10.000, wenn ich mir eine Großdemo vor Augen rufe, aber Zehntausende, Hunderttausende, Millionen an Menschen, die in diesen Lagern von Nazis grausam ermordet wurden, das kann sich, so denke ich, niemand wirklich vorstellen.
Auch die wahnsinnige Maschinerie dahinter ist sehr eindrücklich vermittelt worden.
Die Entmenschlichung durch das Einbehalten aller persönlichen Gegenstände oder Erinnerungsstücke, das vollständige Entkleiden und Rasieren aller neuen Insass*innen, das Nummerieren der Insass*innen und die damit einhergehende Zerstörung ihrer vorherigen Persönlichkeit.
Die Kategorisierung der Insass*innen in verschiedene Zugehörigkeiten: „Asoziale“, „Homosexuelle“, „Bibelforscher“, „Emigranten“, „Berufsverbrecher“, „Politische Gegner“ und dazu noch in „Juden“ oder „Nicht-Juden“. Die Privilegien, die bestimmten Insassengruppen dadurch gegeben wurden und wodurch die Insass*innen sich gegenseitig unterdrückten, vielleicht der eigenen Vorteile wegen, vielleicht aus Überlegenheitsgefühlen, oft vermutlich aus Angst vor den Folgen, aus dem System zu treten. Die Willkür und Grausamkeit der Strafen, der Fakt dass Menschen für kleinste Vergehen gefoltert oder einfach erschossen wurden. Die Gesamtheit des Schreckens, der „nur“ an diesem einen Ort stattfand war bereits vollkommen erdrückend.
Der Fakt, dass dies kein Vernichtungslager war, es andere, weitaus schlimmere Lager gab (so wie zum Beispiel die Außenlager, von denen es weitaus mehr gab), macht einen einfach nur noch fertig.
In mir löste es anfangs Überforderung, Trauer und Fassungslosigkeit aus, später, vor allem als wir am Ende unseres dreistündigen Rundgangs im Krematorium waren, war in mir nur noch Wut und Aggression. Endloser Hass auf all diejenigen, die dies damals zuließen, unterstützten, organisierten, vertuschten. Aber auch Wut auf all diejenigen, die heute den Holocaust als „Fliegenschiss“ bezeichnen, auf all diejenigen, die heute die Shoa leugnen, auf alle, die heute noch immer gegen „Asoziale“, „Homosexuelle“, „Migranten“ oder „die Juden“ wettern.
Mir ist klar, dass die Zustände heute keinesfalls vergleichbar sind mit dem „Dritten Reich“, dass ein Wunsch danach, Gauland oder Höcke den Kiefer zu brechen, geradezu lächerlich wirkt im Vergleich zu den damaligen Schrecken.
Und doch ist mir durch die Eindrücklichkeit dieses Besuches wieder klar geworden, wie unglaublich wichtig Antifaschismus ist und immer bleiben wird. Wie wichtig es ist, dass sich ein solcher Schrecken niemals wiederholen darf, wie wichtig es ist, sich den kleinsten Anfängen von Herrschaft, Unterdrückung, Rassismus und der generellen Einordnung von Menschengruppen in verschiedene Wertigkeiten entgegenzustellen.
Und dass ein Erstarken von solchen Tendenzen letztlich mit allen Mitteln aufgehalten werden muss. Friedlicher Widerstand schön und gut, aber eine solche Geschichte darf sich unter keinen Umständen wiederholen und muss notfalls auch mit Einsatz von Gewalt aufgehalten werden.
Antifaschismus bleibt notwendig!
Wir können allen Menschen hiermit nur empfehlen, einen solchen Rundgang hin und wieder zu machen, damit diese Geschichte niemals in Vergessenheit gerät und einem die Notwendigkeit von Antifaschismus stets bewusst bleibt.
Es gilt damals wie heute der Schwur von Buchenwald:
Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht!
Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung.
Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.